Interview Prof. Dr. Borgetto
Heilmittel

Bernhard Borgetto (Bündnis Therapieberufe): „Die Therapieberufe sind Wunschberufe und keine Notlösung“

Im dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Prof. Dr. Borgetto geht es um die Zulassung in die hochschulische Ausbildung von Therapieberufen.

In den ersten beiden Teilen unseres Interviews mit Bernhard Borgetto vom Bündnis „Therapieberufe an die Hochschulen“ sprachen wir über die Vorzüge der Vollakademisierung von den Berufen der Physiotherapie, der Logopädie und der Ergotherapie. In unserem dritten befragen wir Prof. Dr. Bernhard Borgetto zu den Zulassungsvoraussetzung einer hochschulischen Ausbildung.

Herr Prof. Dr. Borgetto, was ist mit jenen, die zum Beispiel nur einen mittleren Schulabschluss haben? Laut des Verbands Deutscher Privatschulverbände haben 60 Prozent von denen, die sich in einem Gesundheitsberuf ausbilden lassen, einen mittleren Schulabschluss. Wie werden diese Interessenten im Falle einer Vollakademisierung abgeholt?

Bernhard Borgetto: Die Durchlässigkeit ist gesetzgeberisch bereits heute geregelt. Die Anrechnung von Lernleistungen in vertikaler und horizontaler Richtung ist sowohl in den Hochschulgesetzen als auch in den Prüfungsordnungen der Therapie-Studiengänge verankert. Damit ist es Interessentinnen und Interessenten mit mittleren Bildungsabschlüssen auf mehreren Wegen möglich, ein Therapiestudium aufzunehmen und einen Therapieberuf zu ergreifen.

Wie umständlich und zeitaufwendig ist das denn für die Interessenten? Ist die Gefahr nicht enorm, dass die meisten schon von Vornherein den Therapieberufen aus Gründen des Aufwands den Rücken zudrehen?

Bernhard Borgetto: Natürlich bringen Maßnahmen der Durchlässigkeit oft einen erweiterten Zeitaufwand mit sich. So gibt es auch in einigen Bundesländern die Möglichkeit, über eine Berufsausbildung oder auch eine Eignungsprüfung an der Hochschule eine Hochschulzugangsberechtigung zu erhalten, was ebenfalls Zeit benötigt. Schaut man in den Medizinberuf, so wird deutlich, dass viele, die die Anforderungen nicht von Anfang an erfüllen, die Wartezeiten zum Wunschberuf mit verwandten Ausbildungen und Tätigkeiten überbrücken.

Hilfreich wird sein, und das fordern wir auch vehement, dass mit dem Beruf attraktive berufliche Perspektiven sowohl im Hinblick auf die alltägliche Arbeit als auch auf Aufstiegschancen verbunden werden. Die Therapieberufe sind ganz sicher ebenfalls Wunschberufe und keine Notlösung, weil einem gerade nichts Besseres einfällt. Und sie sollten dies auch sein.

Dem gegenüber steht zudem eine hohe Anzahl an Auszubildenden der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie mit einer Hochschulzugangsberechtigung, welche sich nach Möglichkeiten eines Studiums umsehen. Die Abiturient:innenquote der Berufsfachschüler:innen differiert je nach Fachrichtung und Bundesland. So waren es in Nordrhein-Westfalen 2017 in der Ergotherapie 67,7 Prozent, in der Logopädie 91,8 Prozent und in der Physiotherapie 71,5 Prozent. Berücksichtigt man noch, dass es 2017 auch schon primärqualifizierende Studiengänge gab, dann sind diese Zahlen noch eine Unterschätzung der Abiturient:innenquote der Ausbildungsinteressierten. Auch sollte man nicht ganz vernachlässigen, dass Abiturient:innen ebenfalls einen zusätzlichen „Zeitaufwand“ für ihr Abitur erbringen, den andere junge Erwachsene beispielsweise in eine Ausbildung investieren.

Sollte die Gruppe der Abiturient:innen keine beruflichen Perspektiven aufgezeigt bekommen, würde hier ggf. ein viel größerer Faktor für einen Fachkräftemangel entstehen.

Wie das?

Bernhard Borgetto: Wir wissen aus Studien, dass junge Menschen die über einen solchen Abschluss verfügen, in der Regel auch studieren möchten. Dass sich der Fachkräftemangel durch den höheren Zeitaufwand nach der Beendigung der allgemeinen Schulausbildung mit mittlerer Reife unter’m Strich tatsächlich verstärkt bezweifeln wir. Diese Annahme ist auch durch nichts zu belegen. Im Gegenteil: Beispielsweise die Schüler:innenzahlen in der Physiotherapie sind in den 2000er- und 2010er-Jahren deutlich zurückgegangen. Wir gehen daher davon aus, dass der Effekt der Attraktivitätssteigerung für die Schulabsolvent:innen mit Hochschulzugangsberechtigung sich in der Summe positiv auf den Fachkräftemangel auswirkt, ihn also reduzieren wird.

Vielen Dank für das Interview.

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