Interview Dagmar Karrasch (dbl) (4)
Allgemein, Heilmittel

Interview mit Dagmar Karrasch (dbl): "Die Hygienepauschale ist eigentlich eine Unverschämtheit"

Im letzten Teil unseres Interviews mit Dagmar Karrasch vom dbl sprachen wir über die Auswirkungen der Corona-Pandemie für den Bereich der Logopädie.

Unter den Heilmittelerbringer:innen sind Logopäd:innen mit am stärksten von den Gefahren des Covid-19-Virus bedroht – immerhin wird hier sehr nahe am Mund gearbeitet. Wir sprachen mit Dagmar Karrasch, Präsidentin des Deutschen Bundesverbands für Logopädie e. V. (dbl), über die Veränderungen in ihrer Branche durch die Corona-Pandemie. Unter anderem geht es im Gespräch auch um die Hygienepauschale und die Videobehandlung.

Frau Karrasch, inwiefern hat die Corona-Pandemie die Arbeit der Logopäd:innen verändert? Wie ist die Stimmung in Ihrer Branche?

Dagmar Karrasch: Die Pandemie ist eine Herausforderung für alle, die im Gesundheitssystem tätig sind. Auf der einen Seite wurde unser Privatleben – beispielsweise durch Homeschooling – belastet. Auf der anderen Seite sind wir auch beruflich von den pandemischen Auswirkungen betroffen. Insbesondere als Logopäd:innen. Das Virus wird über Aerosole verteilt und die Ansteckung läuft überwiegend über die Atemwege. Deswegen halten wir uns alle an die geltenden Abstands- und Hygieneregeln. Aber gerade in der Logopädie arbeiten wir sehr nah an dem:der Patient:in, direkt am Mund, am Körper und mit der Stimme.

Wir müssen ständig überlegen, wie wir damit umgehen. Wie kann ich beispielsweise ein bestimmtes Schluckmuster vormachen und wie kann der:die Patient:in das dann sichtbar wiederholen? Tragen sowohl Patient:in als auch Therapeut:in eine Maske, sieht man nichts. Nimmt man die Maske ab und geht stattdessen auf Distanz, sieht man ebenfalls nichts. Plexiglasscheiben dienen als Spuckschutz, aber halten keine Aerosole ab. Auch transparente Masken verändern die Akustik, was gerade bei einem:r Patient:in mit Hörstörungen hinderlich ist. Ich muss also in solchen Situationen immer überlegen, wie ich das individuell lösen kann.

Diese Herausforderungen bilden sich zudem überhaupt nicht in der Vergütung ab. Eine Hygienepauschale von 1,50 Euro pro Verordnung deckt beispielsweise nicht mal den zeitlichen Aufwand für regelmäßiges Lüften ab. Oder die Kosten für einfache Mund-Nasenschutz-Masken oder die nötigen Desinfektionsmittel.

Bleiben wir doch mal beim Stichwort Hygienepauschale …

Dagmar Karrasch: Eigentlich ist das eine Unverschämtheit. Immerhin gibt es ja Verordnungen mit bis zu 20 Therapieeinheiten – das sind dann 7,5 Cent pro Einheit. Man kann doch nicht einerseits sagen, dass wir systemrelevant sind, da die Behandlungen medizinisch notwendig sind und fortgesetzt werden sollen, und zahlt dann andererseits nur 7,5 oder 15 Cent pro Therapieeinheit extra. Es ist unglaublich, dass wir uns immer noch mit dieser Pauschale abfinden müssen.

Immerhin ist es gut, dass private Krankenversicherungen Hygienekosten von 1,50 Euro pro Behandlung übernehmen. Unsere Forderung gegenüber den Kostenträgern lag zwar deutlich höher, aber diese Erstattung kommt den tatsächlichen Kosten immerhin näher.

Im Zuge der Pandemie wurde ja als Option die Videobehandlung eingeführt. Der dbl hat sich lange dafür ausgesprochen, dass Videobehandlung solange angeboten werden darf, bis die Pandemie vorbei ist. Und wie schaut es danach aus? Wie wichtig ist Ihnen eine langfristige Etablierung der Videotherapie?

Dagmar Karrasch: Wir wollen, dass die Behandlung per Video in die Regelversorgung integriert wird und wir freuen uns darüber, dass diese Notwendigkeit auch beim Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) angekommen ist. Wir setzen uns dafür ein, dass die behandelnde:n Therapeut:innen in Absprache mit der zu behandelnden Person entscheiden darf, ob dieser Weg der Leistungserbringung gewählt wird oder lieber nicht. Diese Entscheidung sollte nicht der:die am therapeutischen Prozess unbeteiligte Ärzt:in treffen.

Die Behandlung per Video kann hilfreich sein, um beispielsweise Therapiebarrieren bei mobil eingeschränkten Patient:innen abzubauen. Oder um die Distanz zu dem:der jeweiligen Expert:in zu überwinden. Auch können pflegende Angehörige so entlastet oder besser einbezogen werden. Und auch die Versorgung strukturschwacher Regionen wird durch die Videobehandlung erleichtert. Natürlich muss dazu auch die digitale Infrastruktur in einzelnen Regionen verbessert werden. Also: Auch jenseits von Corona oder anderer Infektionskrankheiten sehen wir die Videobehandlung als absolut sinnvoll an.

Welche Hürden müssen bei der Videobehandlung noch überwunden werden?

Dagmar Karrasch: Viele Praxen haben von sich aus bezüglich ihrer IT-Ausstattung nachgebessert, um Videobehandlungen anbieten zu können. Aber es sollten auch Anreize oder zumindest die Möglichkeit der Kostenerstattung geschaffen werden, um die Videobehandlung für die Praxisinhaber:innnen attraktiv zu machen. Hier müssen wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch klären.

Ganz wichtig ist hier natürlich auch der Datenschutz: Also die Klärung, welche Plattformen dafür in Frage kommen und wie welche Rahmenbedingungen – beispielsweise im häuslichen Umfeld, wenn der:die Patient:in nicht alleine ist – zu gewährleisten sind. All dies wird im Rahmen der anstehenden Verhandlungen geklärt werden müssen.

Wie wird die Pandemie die Arbeit im Heilmittelbereich langfristig beeinflussen?

Dagmar Karrasch: Videobehandlungen, aber auch andere teletherapeutische und digitale Leistungen werden zukünftig selbstverständlicher werden. Da hat eine immense Beschleunigung stattgefunden und der positive Mehrwert wurde erkannt. Das Mitdenken digitaler Möglichkeiten und deren Anwendung ist für alle viel geläufiger als noch vor der Pandemie.

Auch glaube ich, dass Hygiene- und Infektionsschutzbedingungen und entsprechende Standards weiterhin wichtig bleiben werden. Infektionsschutz gab es früher auch schon, wurde aber in der wirtschaftlichen Erstattung noch gar nicht abgebildet. Wenn ich zum Beispiel Patient:innen mit multiresistenten Keimen per Hausbesuch versorge, dann brauche ich deutlich mehr Schutzausrüstung als bei Patient:innen, die davon nicht betroffen sind. Eine solche Unterscheidung wird in der Kostenerstattung aktuell noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Außerdem werden Themen wie Post- und Long Covid uns auch nach der Pandemie begleiten. Das ist auch in der Logopädie ein zunehmend wichtiger Bereich.

Vielen Dank für das Gespräch.
 

Dies war der vierte und letzte Teil unseres großen DMRZ.de-Interviews mit der dbl-Präsidentin Dagmar Karrasch. Die Themen der bisherigen Interview-Teile: die Vor- und Nachteile der neuen Heilmittel-Richtlinie, der Bundesrahmenvertrag für Logopäd:innen und die Blankoverordnung.

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