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Pflege

Pflegegrad 1: Welche Reformen werden diskutiert?

Abschaffen oder umgestalten? Rund um den Pflegegrad 1 werden verschiedene Reformideen diskutiert. Ein Überblick über Vorschläge und Positionen.

Die Debatte um den Pflegegrad 1 ist in vollem Gange. Nachdem im Oktober die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ ihren Zwischenbericht vorgelegt hat, zeichnet sich zumindest eine Tendenz ab: Eine komplette Abschaffung des Pflegegrads 1 scheint vom Tisch zu sein. Doch wie genau er künftig ausgestaltet werden soll, ist noch völlig offen. Verschiedene Akteure – von Pflegeverbänden über Krankenkassen bis zur Politik – haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine sinnvolle Reform aussehen könnte. Für Verantwortliche in der ambulanten Pflege lohnt sich ein Blick auf die verschiedenen Positionen.

 

Der Zwischenbericht: Tendenz erkennbar, Details offen

Laut des Sachstandsberichts des Bundesgesundheitsministeriums vom 13. Oktober 2025 will die Bund-Länder-Arbeitsgruppe grundsätzlich an allen fünf Pflegegraden festhalten. Der Pflegegrad 1 soll demnach bestehen bleiben, aber stärker auf Prävention ausgerichtet werden. Was das konkret bedeutet, bleibt jedoch vage. Die Formulierung lautet: Die Leistungen sollen zum Beispiel durch eine verbesserte pflegefachliche Begleitung der Pflegebedürftigen präventiver gestaltet werden.

Die Pflegeversicherung soll weiterhin eine Teilversicherung bleiben. Allerdings sollen laut der Tagesschau Lösungen zur Begrenzung beziehungsweise Dämpfung der steigenden Eigenanteile gefunden werden. Konkrete Reformvorschläge sind angekündigt. Bis dahin bleibt die Frage offen: Wie soll die Neuausrichtung genau aussehen?

Warum überhaupt Reform? Die Kritik am Status quo

Die Diskussion um den Pflegegrad 1 hat einen ernsten Hintergrund: Die soziale Pflegeversicherung steht unter massivem finanziellen Druck. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken betont: „Eine gute pflegerische Versorgung ist Versprechen und Verpflichtung zugleich: Wir müssen das System der sozialen Pflegeversicherung nachhaltig aufstellen – eine umfassende Reform ist überfällig.“ Zugleich stellt sie klar, dass „stetige Beitragssteigerungen und Mehrbelastungen hierfür nicht die Lösung sein“ könnten. „Die Einnahmen im System müssen ausreichen, um das Leistungsversprechen zu finanzieren“, so Warken weiter.

Kritiker bemängeln zudem, dass der Pflegegrad 1 seine ursprünglichen Ziele – Prävention und Verzögerung von Pflegebedürftigkeit – nicht ausreichend erreiche. Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) verwies bereits im Juli 2025 in seinem 10-Punkte-Plan auf ein wissenschaftliches Dossier von Medicproof. Demnach erreiche der Pflegegrad 1 seine ursprünglichen Ziele wie Prävention und Verzögerung der Pflegebedürftigkeit nicht. Die zentrale Frage lautet also: Wie kann der Pflegegrad 1 so umgestaltet werden, dass er tatsächlich präventiv wirkt – und gleichzeitig finanzierbar bleibt?

 

Breiter Konsens: Prävention muss im Fokus stehen

Trotz unterschiedlicher Ansätze gibt es einen bemerkenswerten Konsens: Nahezu alle Beteiligten – von der PKV über Pflegeverbände bis zur Politik – fordern, dass der Pflegegrad 1 konsequent auf Prävention ausgerichtet werden muss. Der Unterschied liegt vor allem darin, WIE diese Prävention konkret umgesetzt werden soll.

Ansatz 1: Leistungen umschichten statt abschaffen

Die PKV schlägt vor, den Pflegegrad 1 konsequent auf Prävention auszurichten. Konkret bedeutet das: Den Entlastungsbetrag von 131 € monatlich und den Zuschuss bei vollstationärer Pflege streichen, dafür aber Beratung, Pflegekurse, Hilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen stärken. Die Überlegung: Statt Geldleistungen zu verteilen, sollten gezielte präventive Maßnahmen gefördert werden. Die PKV verweist dabei auf bestehende Angebote wie die compass-Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI, die darauf abzielt, Be- und Entlastungsfaktoren pflegender Angehöriger zu identifizieren. Mögliche Einsparungen: rund 1,2 Milliarden Euro jährlich.

Ansatz 2: Pflegefachliche Expertise nutzen

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) setzt ebenfalls auf Prävention als erste Priorität – allerdings mit anderem Schwerpunkt. Stefan Werner, Vizepräsident des DBfK, betont: „Die Ziele, mit denen der Pflegegrad 1 im Jahr 2017 eingeführt wurde, sind nach wie vor gut begründet.“ Es gehe zum einen um einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit und zum anderen um ein Hinauszögern einer stärkeren und damit auch wesentlich teureren Pflegebedürftigkeit durch präventive Maßnahmen. „Der Pflegegrad 1 muss bleiben und den Zugang zu pflegefachlicher Leistung ermöglichen“, so Werner weiter.

Die Kompetenz von Pflegefachpersonen müsse stärker genutzt werden – für Beratung, Coaching und Schulung von Angehörigen. Community Health Nurses (CHN) könnten zugehende, aktive Unterstützung leisten und frühzeitig drohende Überlastung erkennen. „Wir reden hier in erster Linie von älteren Pflegebedürftigen, das Durchschnittsalter bei der Antragstellung liegt bei fast 79 Jahren“, erklärt Werner. „Diese vulnerable Personengruppe können wir nicht unversorgt lassen.“

 

Wo liegt das eigentliche Problem?

Der DBfK betont: „Die Misere der Pflegeversicherung rührt nicht daher, dass Einzelne sie nicht in der intendierten Absicht nutzen. Sie muss vielmehr strukturell beseitigt werden.“ Mehr als 5 Milliarden Euro wurden während der Corona-Pandemie entnommen und nicht zurückgezahlt. Versicherungsfremde Leistungen wie Rentenpunkte für pflegende Angehörige belasten die Kasse mit rund 4 Milliarden Euro jährlich. Die steigenden Eigenanteile für Pflegebedürftige liegen durchschnittlich über 3.000 € monatlich für einen Heimplatz.

Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer ergänzt: „Es liegt noch Arbeit vor uns. Die Stärkung der ambulanten Pflege ist ein zentraler Baustein. Viele Menschen wünschen sich, so lange wie möglich in ihrem vertrauten Zuhause leben zu können – dort, wo sie sich geborgen fühlen.“

Was wäre sinnvoll für die ambulante Pflege?

Aus Sicht ambulanter Pflegedienste könnte eine Präventionsorientierung Chancen bieten: Frühzeitiges Eingreifen verhindert teurere Pflegebedarfe, Pflegefachkräfte können ihre Beratungskompetenz gezielt einbringen und abrechnen, Angehörige werden besser geschult.

Zu bedenken ist aber: Wird der Entlastungsbetrag gestrichen, fallen niederschwellige Unterstützungsangebote möglicherweise weg. Und Beratungsleistungen müssen angemessen vergütet werden, wenn sie ausgebaut werden sollen. Katarina Planer, Professorin für Pflege und Pflegemanagement an der Hochschule Esslingen, gibt zu bedenken: „Der Pflegegrad 1 verursacht ohnehin keine riesigen Ausgaben, deshalb sollte man genau hinschauen, welchen Nutzen die verschiedenen Leistungen haben.“ Sie betont zugleich: „Wirklich wichtig ist die Pflegeberatung, weil dort Fachleute mit Erfahrung vorbeikommen, die die Situation einschätzen und hilfreiche Empfehlungen geben können.“

Ein möglicher Kompromiss: Den Pflegegrad 1 beibehalten, die pflegefachliche Begleitung ausbauen – aber den Entlastungsbetrag gezielter für nachweislich präventive Maßnahmen einsetzen.

 

Wie geht es weiter?

Konkrete Reformvorschläge sollen in den kommenden Wochen und Monaten folgen. Für ambulante Pflegedienste heißt es: Die Debatte im Blick behalten und sich auf mögliche Veränderungen vorbereiten. Klar ist: Der Pflegegrad 1 wird nicht verschwinden. Die Frage ist nur, ob die Reform tatsächlich zu mehr Prävention führt – oder ob am Ende nur gespart wird.

 

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