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Pflege

Studie: Wie können pflegende Angehörige entlastet werden?

Eine Studie der Uniklinik Erlangen hat den Bedarf an Unterstützungs- und Entlastungsangeboten untersucht. Warum das für Pflegekräfte relevant ist.

Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zuhause betreut – oft auch von ihren Angehörigen. Aber ohne fachliche Unterstützung ist das alles andere als einfach. Zum Glück gibt es für Pflegebedürftige in der häuslichen Pflege eine Mehrzahl an Entlastungsangeboten. Die Bandbreite reicht von Basics wie der ambulanten Pflege oder Betreuungsdiensten bis hin zu Maßnahmen wie Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege oder Tagespflege. Aber reicht das aus? Und wie gut wird dieses Angebot angenommen? Dem wollte das Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der Uni Erlangen nachgehen. Für die Studie „Benefits of Being a Caregiver“ wurden bayrische Pflegebedürftige und deren Angehörige von 2019 bis 2020 befragt. Die Ergebnisse wurden nun in Berichten veröffentlicht. Was sind die größten Erkenntnisse der repräsentativen Studie? Und welche Bedeutung haben diese für jene, die in der Pflege arbeiten?

1. Wer bereits ambulante Pflegeleistungen nutzt, hat oft keinen Bedarf mehr an weiteren Entlastungsangeboten

Der Wunsch nach Angeboten zur Entlastung oder Unterstützung ist unter den pflegebedürftigen Personen und deren Angehörigen groß. Egal, ob ambulante Hilfe, Betreuungsdienste, Verhinderungspflege, Fahrdienste oder mehr: Insbesondere jene, die bisher ausschließlich von Angehörigen gepflegt werden und bisher noch gar keins dieser Angebote in Anspruch genommen hat, haben den größten Bedarf. 71,9 Prozent der Befragten, die so ein Angebot noch nie ein Anspruch genommen haben, wollen dies zukünftig tun – 57 Prozent sogar zwei oder mehr der Angebote.

Die folgende Grafik zeigt, welche Angebote von pflegenden Angehörigen am meisten gewünscht werden. Interessant ist auch, dass bei der Top 3 vor allem die Männer unter den pflegenden Angehörigen den höheren Bedarf an diesen Entlastungs- und Unterstützungsleistungen haben.

Die Studie zeigt aber auch, dass der Bedarf rasant nachlässt, sobald die pflegebedürftige Person bereits eines oder mehrere solcher Angebote nutzt. Eine mögliche Erklärung hierfür: Die pflegenden Angehörigen erhalten durch die professionelle Unterstützung – z. B. durch einen ambulanten Pflegedienst – so viel Rückendeckung, dass sie nicht noch unbedingt weitere Pflegeleistungen in Anspruch nehmen müssen.

2. Der Bedarf an Unterstützungsleistungen ist bei niedrigen Pflegegraden am höchsten

Es wäre falsch, zu sagen, dass der Bedarf an Angeboten zur Entlastung oder Unterstützung bei allen Pflegebedürftigen und deren Angehörigen gleich groß ist. Der Bedarf variiert stark zwischen den verschiedenen Pflegegraden. Die folgende Tabelle zeigt, wie hoch jeweils der Bedarf an Angeboten ist, die die Person bisher noch nicht in Anspruch genommen hatte. (Beachte, dass Pflegebedürftige mit Pflegegrad 5 aufgrund der erschwerten Befragungsumstände nicht in die Studie aufgenommen wurden.)

Wunsch nach einer zukünftigen Nutzung (bisher noch nicht genutzt) gesamt kein Pflegegrad Pflegegrad 1 Pflegegrad 2 Pflegegrad 3 Pflegegrad 4  
Ambulanter Pflegedienst 25,3 % 41,6 % 31,6 % 22,9 % 16,6 % 12,3 %  
Betreuungsdienst 26,7 % 29,5 % 33,8 % 22,9 % 26,5 % 24,5 %  
24-h Betreuung 15,8 % 11,1 % 19,1 % 14,9 % 18,0 % 17,9 %  
Verhinderungspflege 31,7 % 35,3 % 36,0 % 31,1 % 33,2 % 18,9 %  
Haushaltshilfe 35,1 % 44,7 % 42,6 % 35,9 % 28,0 % 19,8 %  
Essen auf Rädern 21,1 % 25,8 % 25,0 % 21,6 % 17,1 % 14,2 %  
Heilmittel (nicht-medikamentös) 20,9 % 25,3 % 30,1 % 19,7 % 16,1 % 14,2 %  
Tagespflege 23,3 % 20,5 % 26,5 % 25,1 % 24,2 % 17,0 %  
Betreuungsgruppe 16,9 % 16,3 % 18,4 % 16,8 % 19,4 % 11,3 %  
Kurzzeitpflege 26,1 % 24,7 % 28,7 % 26,7 % 28,4 % 18,9 %  
Angehörigenberatung 24,1 % 29,5 % 27,2 % 22,9 % 22,3 % 17,9 %  
Angehörigengruppe 11,4 % 14,7 % 11,0 % 10,5 % 10,9 % 9,4 %  
Pflegekurs 15,3 % 16,3 % 14,7 % 14,3 % 16,6 % 15,1 %  
Fahrdienst 24,5 % 25,3 % 30,1 % 25,7 % 23,7 % 14,2 %  
Ärztliche Versorgung 13,09 % 18,4 % 12,5 % 13,0 % 11,4 % 7,5 %  

Es fällt auf, dass Entlastungsangebote gerade bei denen besonders gefragt ist, die aufgrund des fehlenden oder niedrigen Pflegegrads 1 keine finanzielle Unterstützung für diese Angebote erhalten.

Zu erklären sind die Zahlen der Statistik aber auch insofern, dass die Zahl derjenigen, die mit höherem Pflegegrad keine Unterstützung erhalten, im Rahmen der Befragung eher gering ist. Auf der anderen Seite beginnt der Einstieg in die Pflegebedürftigkeit meist mit einem geringeren Pflegegrad.

Insofern ist der Bedarf an Unterstützung und Entlastung gerade bei denen am höchsten, die mit dem Thema Pflege noch keine Erfahrung haben – egal, ob es den:die Pflegebedürftige:n direkt betrifft oder deren Angehörige.

3. Aber: Angebote zur Entlastung oder Unterstützung nur gering genutzt!

Der Bedarf an Entlastungs- und Unterstützungsangeboten für Pflegebedürftige ist groß – aber die tatsächliche Nutzung ist eher gering. Von all den vielen Angeboten, die Pflegebedürftige – teilweise finanziell unterstützt von der Pflegekasse – nutzen können, werden nicht alle in Anspruch genommen. Die repräsentative Studie der Uni Erlangen hat ergeben, dass jene der Befragten, die bereits solche Angebote nutzen, in der Regel nicht mehr als zwei davon in Anspruch nehmen.

Woran liegt das? Anhand anderer wissenschaftlicher Quellen werden folgende mögliche Gründe für die Nicht-Nutzung der Entlastungs- und Unterstützungsangebote genannt:

  • Mangelnde Kenntnis der pflegebedürftigen Personen und deren pflegenden Angehörigen bezüglich der vorhandenen Angebote sowie deren Kostenübernahme

  • Das deutsche Angebotssystem ist für Laien möglicherweise zu unübersichtlich

  • Unsicherheit bezüglich der Kosten und Finanzierung der Angebote

  • Angst vor Einschränkungen der Selbstbestimmung

  • Wunsch, nicht von Fremden gepflegt zu werden

  • Angebote entsprechen nicht den Bedürfnissen oder Erwartungen der pflegenden Angehörigen

  • Bedenken hinsichtlich der Qualität der Angebote

  • Viele pflegende Angehörige konzentrieren sich vermehrt auf die Wünsch und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person – und vernachlässigen dabei ihre eigenen

  • Hilfe wird oft erst bei zu hoher Belastung und stark eingeschränkter Lebensqualität aufgesucht

Dr. Anna Pendergrass, vom Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Erlagen sowie eine der Köpfe hinter der Studie, sagt: „Es ist dringend notwendig, die Gründe dafür zu erforschen, warum Wunsch und Wirklichkeit so sehr auseinandergehen. Daraus können dann wirksame Strategien abgeleitet werden, An- und Zugehörige bedarfsgerecht zu unterstützen.“

4. Der Job leidet unter der pflegenden Tätigkeit

Pflegende Angehörige haben oft mit einer Doppelbelastung zu kämpfen: Einmal durch die Pflege eines:einer Angehörige:n und einmal durch die berufliche Tätigkeit. Und so wundert auch nicht, dass oft der Job unter der Pflegearbeit leidet. Etwa ein Viertel der Erwerbstätigen unter den pflegenden Angehörigen reduziert aufgrund der Pflegesituation die berufliche Tätigkeit (25,4 %). Rund 11 Prozent gaben ihre Arbeit sogar ganz auf. Jene, die beruflich am meisten zurückstecken, seien Frauen. „Das Geschlecht ist damit der bedeutendste Risikofaktor für die Beendigung der beruflichen Tätigkeit“, so Pendergrass.

Die Wünsche an Politik und Arbeitgeber:innen sind umfangreich. Die folgende Tabelle zeigt, was pflegende Angehörige am meisten benötigen.

Wünsche erwerbstätiger pflegender Angehöriger zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege gesamt weiblich männlich
Flexibilisierung der Arbeitszeit 17,4 % 17,5 % 16,7 %
Reduktion der Arbeitsstunden 13,6 % 12,3 % 19,0 %
Entgegenkommen Fehltage 27,5 % 26,6 % 31,0 %
Wertschätzung (z. B. Verständnis für die Situation pflegender Angehöriger) 0,7 % 0,9 % 0,0 %
Finanzieller Support (z. B. finanzieller Unterstützung, Ausgleich oder zusätzliche Freistellung) 2,3 % 2,6 % 1,2 %
Häusliche Nähe (z. B. Homeoffice oder Arbeitsplatz in Wohnortnähe) 1,2 % 1,2 % 1,2 %
Festlegung der Arbeitszeit (z. B. feste Arbeitszeit, um besser planen zu können, oder Schichtdienst) 1,4 % 1,8 % 0,0 %

In den letzten Jahren hat sich politisch schon viel getan. Beispielsweise wurden Familienpflegezeit und Pflegeunterstützungsgeld modernisiert und das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz wurde verschiedet. Aber die Hauptwünsche der pflegenden Angehörigen blieben dabei oft auf der Strecke. „Hinzu kommt, dass die praktische Umsetzbarkeit der Gesetze durch die dafür erforderlichen Voraussetzungen, wie z. B. Mindest-Arbeitsstundenumfang, Mindest-Arbeitnehmendenzahl und zeitliche Begrenztheit der Maßnahmen, eingeschränkt ist“, heißt es in dem Bericht. Vor allem in kleinen Betrieben ist es fast unmöglich, solche Vorgaben effektiv umzusetzen. Hier seien individuelle Vereinbarungen mit dem:der Arbeitgeber:in notwendig.

5. Nach Lösungen suchen, pflegende Angehörige zur Nutzung von Entlastungsangeboten zu motivieren

„Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Nutzung sollte in Zukunft aktiv reduziert werden, in dem die pflegenden Angehörigen ermuntert werden, früher Unterstützung anzunehmen und ihren Wunsch nach Entlastung in die Tat umzusetzen“, heißt es in einem der Berichte zu der Studie. Außerdem fordern die Macher der Studie, dass Strategien zur Stärkung der Inanspruchnahme von Angehörigenberatung sowie konkreter Entlastungsangebote entwickelt, erprobt und umgesetzt werden sollte. Die Entlastungs- und Unterstützungsangebote müssen so ausgebaut werden, dass sie besser mit familiärer und beruflichen Begebenheiten vereinbar sind.

Es lohnt sich auch ein Blick ins Ausland. In Schweden und in den Niederlanden sind formelle Angebote nicht nur vielen Menschen durch eine staatliche soziale Absicherung zugänglich, sondern auch ausreichend verfügbar und werden entsprechend relativ häufig genutzt. In Österreich und in Großbritannien gibt es vergleichsweise hohe Selbstbehalte, weshalb insbesondere bei einer geringeren Pflegebedürftigkeit die (unbezahlte) informelle Pflege vorrangig priorisiert wird.

6. Appell an Pflegedienste: Beratung mehr auf das Empowerment der Angehörigen auszurichten

Die Studie der Uni Erlangen ergab, dass pflegende Angehörige definitiv Unterstützung bei der Ausführung der Pflege benötigen. Deshalb fordern die Macher der Studie ambulante Pflegedienste auf, das Beratungsangebot verstärkt auf Empowerment der Angehörigen auszurichten. (Vor einigen Jahren wurden beispielsweise schon Konzepte wie der Pflege Ko-Pilot erstellt, um pflegende Angehörige zu beraten und zu unterstützen.)

Warum eine Stärkung der pflegenden Angehörigen wichtig ist: Mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Pflege ist die Gesellschaft auf häusliche Pflege durch Angehörige angewiesen. Je mehr die Angehörigen selber machen können, desto mehr entlasten sie die Fachkräfte, die bei Ihren ambulanten Pflegeeinsätzen helfen, unterstützen und beraten. Schon mithilfe einzelner Angebote zu Entlastung erhalten die Angehörigen bereits viel Unterstützung. Die Arbeit der pflegenden Angehörigen entlastet am Ende das gesamte Gesundheitssystem.

„Auf jeden Fall müssen ambulante Angebote in den nächsten Jahren massiv ausgebaut und deren Finanzierung gesichert werden“, sagt Prof. Dr. Elmar Gräßel vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik in Erlangen. „Nur so können der bereits jetzt vorhandene Wunsch nach Unterstützung gedeckt und die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und häuslicher Pflege ermöglicht werden. Es geht um nichts weniger als die Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen in ihrer häuslichen Umgebung.“


Die Studie im Detail

Pressemitteilung zur Studie

 

Allgemeiner Hinweis: Unsere Blogartikel dienen lediglich zur Information und bieten einen Überblick über das Thema. Trotz sorgfältiger Recherche und Prüfung können wir keine Garantie auf Richtigkeit oder Vollständigkeit der Informationen und Daten übernehmen. Konkrete Informationen findest Du unter den jeweils genannten Quellen.

 

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