Report Mainz deckt bundesweite Missstände auf
Pflege

Hilfe zur Pflege: Lange Wartezeiten bringen Pflegeeinrichtungen in Bedrängnis

Sozialämter lassen Pflegebedürftige und Einrichtungen bis zu drei Jahre warten – jede vierte Einrichtung sieht sich in der Existenz bedroht.

Die Situation spitzt sich dramatisch zu: Während pflegebedürftige Menschen dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, lassen deutsche Sozialämter sie monatelang – teilweise sogar jahrelang – auf die Bewilligung ihrer Anträge auf „Hilfe zur Pflege“ warten. Eine aktuelle Recherche von Report Mainz (TV-Sendung von ARD/SWR) und neue Umfrageergebnisse zeichnen ein alarmierendes Bild von einem System, das an seine Grenzen stößt.

 

Was ist die „Hilfe zur Pflege“?

Die „Hilfe zur Pflege“ ist eine Sozialhilfeleistung für Menschen, deren Einkommen und Vermögen nicht ausreichen, um die Pflegekosten zu decken. Sie springt ein, wenn Rente, Pflegegeld und andere Leistungen nicht genügen – etwa bei teuren Heimplätzen oder aufwendiger ambulanter Intensivpflege. Laut aktuellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums ist bereits jede:r dritte Heimbewohner:in darauf angewiesen.

Umfangreicher Ratgeber zur „Hilfe zur Pflege (und anderen Sozialleistungen)

Report Mainz deckt bundesweite Missstände auf

Eine bundesweite Umfrage des ARD-Magazins Report Mainz unter 113 Sozialämtern brachte erschreckende Ergebnisse zutage: Rund 27 % der Ämter benötigen mehr als sechs Monate bis zu einem Jahr für die Bearbeitung von Anträgen. Fünf Prozent gaben sogar Bearbeitungszeiten von weit über zwölf Monaten an.

Besonders gravierend ist die Situation in Berlin-Pankow, wo Antragsteller:innen „manchmal zwei oder drei Jahre warten“ müssen. In Wilhelmshaven dauern 23 % der Fälle länger als ein Jahr, in Baden-Württembergs Tuttlingen aktuell rund zwölf Monate.

Ein Beispiel aus Niedersachsen zeigt die dramatischen Folgen: Karin S. (Name geändert) stellte im April 2023 einen Antrag für ihren pflegebedürftigen Vater. Zehn Monate später drohte das Pflegeheim mit der Kündigung, weil monatlich 900 Euro fehlten. Erst nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde wurde der Antrag bearbeitet – fast ein Jahr nach Antragstellung.

 

Neue Zahlen bestätigen: Das Problem ist flächendeckend

Eine gemeinsame Umfrage des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) vom Mai 2025 untermauert die Erkenntnisse von Report Mainz. Befragt wurden 92 Träger mit 211 stationären Einrichtungen, die gemeinsam 19.172 pflegebedürftige Menschen versorgen.

Die Ergebnisse sind alarmierend:

  • 43 % aller Bewohner:innen beantragen Sozialhilfe

  • 32 % der Antragsteller:innen warten auf Zahlungen

  • 94 % davon warten länger als sechs Monate, 30 % sogar länger als zwölf Monate

  • Bei 60 % derjenigen, die noch auf Zahlungen warten, übersteigen die Außenstände 10.000 Euro!

Pflegeeinrichtungen kämpfen ums Überleben

Die Auswirkungen auf die Pflegeeinrichtungen sind dramatisch. 68 % der von VKAD und DEVAP befragten Träger berichten von Außenständen durch nicht gezahlte Sozialhilfebeiträge. Bei 35 % der betroffenen Einrichtungen liegen diese Außenstände sogar bei über 100.000 Euro. Besonders besorgniserregend: 27 % sehen dadurch ihre Liquidität akut gefährdet.

„Eine Bearbeitungszeit von neun Monaten bedeutet im konkreten Fall, dass neun Monate die Gelder fehlen, um das Personal zu bezahlen und dass ich das als Einrichtungsträger vorfinanzieren muss“, sagt Bernd Meurer, Präsident des größten privaten Pflegeverbandes bpa, in Report Mainz.

 

Auch ambulante Dienste stark betroffen

Das Problem beschränkt sich nicht auf stationäre Einrichtungen. Bereits 2023 berichtete der bpa über „skandalöse Zustände“ in ostdeutschen Regionen, wo zu Hause versorgte Pflegebedürftige bis zu neun Monate auf Kostenübernahmen warteten. Ambulante Pflegedienste müssen in Vorleistung gehen, ohne zu wissen, ob und wann sie ihr Geld erhalten.

 

Warum dauert alles so lange?

Die Gründe für die Verzögerungen sind vielfältig:

  • Extremer Personalengpass in den Sozialämtern

  • Veraltete, papierbasierte Bearbeitungsprozesse

  • Steigende Anzahl der Anträge

  • Fehlende technische Ausstattung

  • Hohe Mitarbeiterfluktuation

Im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf arbeitet man beispielsweise „immer noch mit Papierakten“, wie ein Mitarbeiter berichtet. Die mittlere Bearbeitungszeit liegt dort bei fast einem Jahr.

 

Lösungsansätze der Branche

Die Pflegeverbände fordern dringend Reformen:

  1. Kurzfristig: Vorläufige Kostendeckungszusagen bei längeren Prüfungen

  2. Strukturell: Digitalisierung der Bearbeitungswege und Personalaufstockung

  3. Technisch: KI-gestützte Vorprüfungen zur Beschleunigung

  4. Fundamental: Höhere Pflegeleistungen, um weniger Menschen sozialhilfebedürftig zu machen

Andreas Kern, Erster Vorsitzender des bpa, bringt es auf den Punkt: „Es ist nicht weiter hinnehmbar, dass die Pflegeeinrichtungen Versicherte versorgen sollen, ohne zu wissen, ob und wann sie hierfür entlohnt werden.“

Was bedeutet das für Dich?

Falls Du einen ambulanten Pflegedienst leitest oder in der Pflege arbeitest, kennst Du diese Problematik vermutlich aus eigener Erfahrung. Die monatelangen Wartezeiten belasten nicht nur die Pflegebedürftigen und ihre Familien, sondern gefährden auch die wirtschaftliche Stabilität der Pflegeeinrichtungen.

Die aktuellen Zahlen zeigen deutlich: Das System der „Hilfe zur Pflege“ ist am Limit. Wenn Sozialämter systematisch über Monate oder Jahre hinweg Zahlungen verzögern, werden Pflegeeinrichtungen zu unfreiwilligen Kreditgebern des Staates. Das gefährdet nicht nur einzelne Einrichtungen, sondern die Versorgung pflegebedürftiger Menschen insgesamt.

Die Politik ist gefordert, schnell zu handeln – bevor noch mehr Pflegeeinrichtungen in die Insolvenz rutschen oder Pflegebedürftige ihre Versorgung verlieren.

 

Zu der Sendung von Report Mainz

Die Umfrage von VKAD und DEVAP (PDF)

 

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